Corona-Soforthilfe: Flexibilisierung des Betrachtungszeitraums rückwirkend nicht möglich. Das ist das Ergebnis einer intensiven, auch externen rechtlichen Prüfung aller Optionen.
Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut: „Umso mehr setze ich mich jetzt mit Nachdruck dafür ein, dass kein Unternehmen durch eine Rückzahlung in seiner Existenz gefährdet wird. Wir werden alle Spielräume für großzügige Lösungen bei der Schlussabrechnung nutzen.“
Der sogenannte Betrachtungszeitraum bei der Corona-Soforthilfe kann rückwirkend nicht geändert werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten, das das Wirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat. Damit bleibt es bei den bisherigen Voraussetzungen für die Gewährung der Corona-Soforthilfe, mit denen existenzgefährdende Liquiditätsengpässe im Frühjahr 2020 abgefedert wurden, teilte das Ministerium am heutigen Dienstag, 24. Mai, mit.
Ministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut sagte: „Wir haben über Monate alles dafür getan, um einen Weg zu finden, den Soforthilfeempfängerinnen und -empfängern zu helfen. Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Die nachträgliche Flexibilisierung des Betrachtungszeitraums ist aus rechtlichen Gründen leider nicht möglich, die vom Bund eingeräumte Möglichkeit trägt für uns nicht. Ich bedauere das in der Sache sehr. Rechtswidrig darf sich der Staat aber nicht verhalten. Umso mehr setze ich mich jetzt mit Nachdruck dafür ein, dass kein Unternehmen durch eine Rückzahlung in seiner Existenz gefährdet wird. Wir werden alle Spielräume für großzügige Lösungen bei der Schlussabrechnung nutzen.“
Bei der Corona-Soforthilfe handelt es sich um ein Bundesprogramm, das von den Ländern abgewickelt wurde. Der Bund hatte den Ländern erst nachträglich die Möglichkeit der Flexibilisierung für diejenigen Fälle eingeräumt, in denen sich bei der Überprüfung ein Rückzahlungsbedarf ergeben hat. Die Verantwortung für die rechtssichere Umsetzung liegt allerdings bei den Ländern. Das Wirtschaftsministerium hat daraufhin in den vergangenen Monaten alle Optionen intensiv geprüft, um für die Unternehmen die Flexibilisierung zu ermöglichen. Dazu wurde auch ein externes Rechtsgutachten eingeholt.
Im Ergebnis hat sich eine nachträgliche Flexibilisierung als rechtlich nicht möglich erwiesen. Insbesondere verstieße eine Beschränkung auf diejenigen Hilfeempfänger mit Rückzahlungsbedarf gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Zudem könne aus haushalts- und zuwendungsrechtlichen Gründen nicht nachträglich nach über zwei Jahren eine Hilfe gewährt werden, die auf Überwindung einer existenzgefährdenden Wirtschaftslage im Frühjahr 2020 zielte.
Das Rückmeldeverfahren sieht bei erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten aufgrund möglicher Rückforderungen Ausnahmeregelungen vor. So könne in Härtefällen auf Antrag eine Ratenzahlung oder Stundung gewährt werden. Um besondere Härten zu vermeiden, könnten in Ausnahmefällen von der L-Bank Rückforderungsbeträge unbefristet erlassen werden, was dem vollständigen Verzicht auf eine Rückforderung entspreche. Dies sei abhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen der Unternehmen. Außerdem sei eine Bagatellgrenze für Rückforderungen vorgesehen.
Das Ministerium weist darauf hin, dass das Land Baden-Württemberg im gesamten Zeitraum der Pandemie bei den Corona-Hilfsprogrammen regelmäßig in erheblichem Umfang über das Vorgehen anderer Bundesländer hinausgegangen ist. Zu nennen sind der fiktive Unternehmerlohn, den Baden-Württemberg als einziges Bundesland seit März 2020 durchgängig ergänzend zu den Bundesprogrammen gewährt, die Stabilisierungshilfe Corona für das Gastgewerbe, der Tilgungszuschuss Corona für besonders betroffene Branchen, zusätzliche Unterstützungsleistungen bei den Personalkosten bei der Soforthilfe oder seit 1. März 2022 die Restart-Prämie beispielsweise für Betriebe des Einzelhandels, der Veranstaltungswirtschaft oder der Gastronomie. Insgesamt wurden zwischenzeitlich Landesmittel im Umfang von mehr als einer Milliarde Euro aufgewandt, um den Unternehmen und Selbstständigen im Land passgenaue Unterstützungsangebote zur Verfügung stellen zu können und sie dadurch bestmöglich zu unterstützen.
Zum Inhalt des Rechtsgutachtens
Das Rechtsgutachten der Kanzlei Dolde, Mayen & Partner stützt sich auf den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Artikel 3, Absatz 1 Grundgesetz. Dieser gebiete es, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Differenzierungen würde nicht ausgeschlossen, sie bedürften jedoch der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen seien.
Laut dem Gutachten würden bei einer nachträglichen Flexibilisierung die sogenannten Vergleichsgruppen ungleich behandelt, weil „nur einem Teil der ursprünglich Antragsberechtigten, nämlich nur den Empfängerinnen und Empfängern einer Soforthilfe Corona, bei denen sich bezogen auf den am Tag nach der Antragstellung beginnenden dreimonatigen Betrachtungszeitraum für die Ermittlung des Liquiditätsengpasses ein Rückzahlungsbedarf ergeben hat oder ergibt, die Möglichkeit eröffnet werden soll, den Beginn des dreimonatigen Betrachtungszeitraums wahlweise mit dem auf die Antragstellung folgenden Tag, mit dem ersten des Monats, der auf die Antragstellung folgt, oder mit dem ersten des Monats, in dem die Antragstellung erfolgte, zu bestimmen.“
Auch mit Blick auf die Zwecksetzung der Corona-Soforthilfe gibt es dem Gutachten zufolge keinen legitimen Sachgrund dafür, „nur diejenigen Empfängerinnen und Empfänger der Soforthilfe Corona, bei denen sich bei der Ermittlung des Liquiditätsengpasses bezogen auf die drei auf die Antragstellung folgenden Monate ein Rückzahlungsbedarf ergibt, ein Wahlrecht hinsichtlich des Beginns des dreimonatigen Betrachtungszeitraums einzuräumen.“
Ebenso verfehle die Zielsetzung, diejenigen, bei denen eine Verpflichtung zur Rückzahlung der im Jahr 2020 gewährten Soforthilfe Corona bestehe, von möglichen finanziellen Belastungen im Jahr 2022 zu entlasten, den Zweck der Gewährung der Soforthilfe Corona im Jahr 2020.
Zusätzlich stellt das Rechtsgutachten fest, dass eine gleichheitssatzkonforme Ausgestaltung des Wahlrechts betreffend den Betrachtungszeitraum in der Form, dass allen Soloselbstständigen, kleinen Unternehmen und Angehörigen der Freien Berufe die Wahlmöglichkeit zum Beginn des dreimonatigen Betrachtungszeitraums nachträglich eröffnet werde, aus zuwendungs- und haushaltrechtlichen Gründen ausscheide: „Ein Wahlrecht für alle ursprünglich Antragsberechtigten hätte zur Folge, dass bei einzelnen Antragsberechtigten nachträglich im Jahr 2022 eine höhere oder erstmalige Soforthilfe zu bewilligen wäre. Die Haushaltsmittel für die Soforthilfe Corona wurden 2020 mit der Zweckbindung bereitgestellt, zur Überwindung einer existenzgefährdenden Wirtschaftslage, die durch die Corona-Krise vom Frühjahr 2020 entstanden ist, Zuwendungen bzw. Billigkeitsleistungen gemäß §§ 23, 44, 53 LHO zur Kompensation von Liquiditätsengpässen im Jahr 2020 zu gewähren. Diese Zweckbindung der Mittelverwendung kann mit Zuwendungen oder Billigkeitsleistungen im Jahr 2022 nicht mehr erreicht werden. Der Zweck der Verwendung der für die Billigkeitsleitungen zur Verfügung gestellten Mittel würde verfehlt.“
Das Gutachten kommt daher zu dem Ergebnis: „Den Anforderungen des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG kann nur entsprochen werden, indem von einer nachträglichen Gewährung einer Wahlmöglichkeit betreffend den dreimonatigen Betrachtungszeitraum abgesehen wird.“