Beitrag der CDU-Fraktion zur Wahlrechtsdebatte

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Diskussion über das Landtagswahlrecht hat in den vergangenen Tagen in der Berichterstattung der Medien hohe Wellen geschlagen. Wir möchten Ihnen im Namen der CDU-Landtagsfraktion unsere Haltung dazu erläutern und die Argumente darlegen, die uns in der Fraktion zu dieser Haltung geführt haben.

Wir haben die Frage der Wahlrechtsänderung in der Fraktionssitzung am 23. Januar 2018 sehr ausführlich beraten und alle Argumente sorgfältig abgewogen. Alle Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion sind im Ergebnis unserer mehrstündigen und sehr sachlich geführten Aussprache gemeinsam zu einer klaren und einstimmigen Überzeugung gekommen.

Wir sehen nicht, dass unser bürgernahes, demokratisches und direktes Landtagswahlrecht durch eine Reform besser oder demokratischer werden könnte. Das geltende Landtagswahlrecht mit einer Stimme ist verständlich, basisdemokratisch und modern. Es schließt niemanden aus. Es schafft größtmögliche Nähe zwischen den Menschen in den Wahlkreisen und ihren Abgeordneten. Die Wähler wählen ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin direkt. Im Parlament sitzt nur, wer sich vor Ort dem Wettbewerb gestellt und die Parteimitglieder und Wähler unmittelbar überzeugt hat. Scheidet ein Abgeordneter aus dem Mandat aus, zieht sein ebenfalls direkt im Wahlkreis nominierter Zweitkandidat in den

Landtag ein, und nicht ein Zufallsnachrücker nach laufender Listenplatzierung. Der Zugang zum Mandat ist mit dem geltenden basisdemokratischen Wahlrecht frei, offen und fair. Jede und jeder kann antreten und sich in den Nominierungsversammlungen bewerben. Das wollen wir nicht aufgeben.

Aus all diesen guten sachlichen Gründen haben wir als CDU-Fraktion beschlossen, dass wir die vom Koalitionsvertrag in Aussicht genommene Wahlrechtsänderung hin zur Einführung einer Landesliste nicht weiter verfolgen werden. Das nunmehr in einer Abstimmung deutlich zu machen, war für uns eine Frage der Wahrhaftigkeit und der Ehrlichkeit gegenüber unserem Koalitionspartner und auch gegenüber der Öffentlichkeit. Wir wollten nicht wochenlang taktieren, sondern klar Stellung beziehen. Für uns zählen die Sachargumente. Es wäre falsch, gegen besseres Wissen und gegen unsere Überzeugung ein schlechteres Wahl-recht einzuführen. Gerade auch alle zehn Frauen in unserer Fraktion haben sich mit starken Argumenten für unser bisheriges Wahlrecht ausgesprochen.

Auch wir wollen Vielfalt im Parlament – aber eine Vielfalt, die von unten kommt und nicht von oben verordnet wird. Das Wahlrecht ist nicht der richtige Hebel, um den Frauenanteil im Landtag zu erhöhen. Wir sind hier in der CDU Baden-Württemberg durchaus auf dem richtigen Weg: Der Frauenanteil in der CDU-Landtagsfraktion hat sich seit 2001 fast verdoppelt. Bei den zur Landtagswahl 2016 neu zu vergebenden Direktkandidaturen in den Wahlkreisen lag der Frauenanteil deutlich über dem Durchschnitt. Wo Frauen und Männer in direkter Konkurrenz gegeneinander angetreten waren, haben sich in rund der Hälfte der Fälle die Frauen durchgesetzt. Umgekehrt ist ein Listenwahlrecht kein Garant für die höhere Beteiligung von Frauen in den Parlamenten: Im Deutschen Bundestag, der mit einem Zweistimmenwahlrecht mit Landeslisten gewählt wird, sind nur drei der 35 CDU-Abgeordneten aus Baden-Württemberg Frauen. Im Europaparlament mit seinem reinen Listenwahlrecht findet sich nur eine Frau unter den fünf Abgeordneten aus der CDU Baden-Württemberg.

Wir wollen, dass sich mehr Frauen in den Wahlkreisen bewerben. Und wir sind sicher, dass gute Kandidatinnen bei der Parteibasis auch überzeugen. Unsere Mitglieder sind hier vielfach schon weiter als manche Gremiendiskussion. Die Vergabe von Landtagsmandaten über eine Wahlliste würde hingegen den Einfluss der Parteimitglieder in den Wahlkreisen einschränken. An den Nominierungsversammlungen der CDU in den 70 Wahlkreisen nehmen rund 13.000 Mitglieder teil. Das sind deutlich mehr als die 9.000 Mitglieder, die der Landesverband der Grünen insgesamt hat. Ein Listenparteitag könnte eine so breite Legitimation niemals herstellen. Wir glauben, die Auswahl unserer Direktkandidaten durch tau-sende Mitglieder braucht kein Korrektiv von oben. Wir stehen für Politik von der Basis her, für „Bottom up" statt „Top down".

 

Hinzu kommt: In den vergangenen 15 Wahlperioden des Landtags bis 2016 hätte eine etwaige Landesliste in der Regel für die CDU nicht gezogen, da wir unsere Sitze über Direktmandate gewonnen haben. Ein Listenwahlrecht wäre damit keinesfalls ein hinreichendes Mittel, um die Repräsentanz der Großstädte in der CDU-Landtagsfraktion zu verbessern. Tatsächlich würde eine Landesliste vor allem unseren Wettbewerbern nützen, die ihr Spitzenpersonal über die Liste absichern könnten. Unser gemeinsames Ziel in der CDU Baden-Württemberg muss es deshalb sein und bleiben, die Direktmandate zu gewinnen.

Unsere Haltung in der CDU-Landtagsfraktion konnte niemanden überraschen. Wir haben aus unseren Überzeugungen kein Geheimnis gemacht und in mehreren Beratungsrunden in der Fraktion und in den Arbeitskreisen sowie gegenüber dem Koalitionspartner in den letzten Monaten wiederholt Stellung bezogen. Unter anderem wurde die Frage beim Besuch des Ministerpräsidenten in der CDU-Landtagsfraktion am 21. November 2017 entsprechend diskutiert. In den Beratungen auf Fachebene konnte keine Einigung mit unserem Koalitionspartner erzielt werden. Die Vorschläge der Grünen zur Wahlrechtsänderung waren aus unserer Sicht verfassungsrechtlich problematisch. Es war ebenso in den Koalitionsverhandlungen 2016 jederzeit klar, dass die Frage des Wahlrechts vom Parlament zu entscheiden sein wird, da sie unser Verständnis der Mandatstätigkeit und des Parlamentarismus im Kern betrifft.

Unser klares Votum für das geltende Wahlrecht richtet sich allein auf eine Sachfrage, die den Mitgliedern der CDU-Landtagsfraktion aus demokratiepolitischen Gründen wichtig ist. Es ging dabei ausdrücklich nicht um Personen. 4

Unsere Entscheidung bezieht sich auf ein konkretes Einzelvorhaben des Koalitionsvertrages – von insgesamt mehreren Hundert politischen Ziel- und Absichtserklärungen. Koalitionsverträge werden nie 1:1 umgesetzt. Sie müssen Spielräume zulassen, damit Positionen neu bewertet oder weiterentwickelt werden können. Das ist insbesondere Ausdruck des freien Mandats, wie es unsere Verfassung vorsieht.

 

Es ist insofern nichts Außergewöhnliches, wenn wir hier in einer Einzelfrage von den Buch-staben des Koalitionsvertrages abweichen. Auch in der vergangenen Wahlperiode war schon eine Änderung des Landtagswahlrechts im Koalitionsvertrag von Grün-Rot verabredet worden, die dann – auch damals schon mit guten Gründen – doch nicht gekommen ist.

Jenseits von dieser konkreten Sachentscheidung werden wir die Zusammenarbeit in der Koalition mit den Grünen erfolgreich und mit deutlicher CDU-Handschrift fortsetzen.

Mit freundlichen Grüßen

 

Ihr Raimund Haser

 

 

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