Aktuelle Debatte: Rundfunkgebührenerhöhung ade – was nun?

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die AfD stellt in dem Titel ihrer Aktuellen Debatte die Frage „Was nun?“,
nachdem es in Sachsen-Anhalt keine Entscheidung mehr über eine Erhöhung
des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar 2021 gibt.

Dieses „Was nun?“ ist einerseits mit einem einzigen Satz beantwortet,
birgt andererseits aber auch die Frage, wie es inhaltlich, also medienpolitisch, im Land weitergeht.
Die kurze Antwort auf „Was nun?“ ist sehr einfach: Das werden die Gerichte entscheiden.
Die Sender haben das Bundesverfassungsgericht angerufen, und in den vergangenen Jahrzehnten konnte man sich stets darauf verlassen,
dass das Bundesverfassungsgericht zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk steht.
Am Ende – das ist unsere Einschätzung – wird an der Umsetzung dieses Medienänderungsstaatsvertrags,
den auch wir in diesem Haus am 11. November verabschiedet haben, kein Weg vorbeiführen.

Die Frage ist aber dann, wann diese Erhöhung kommt.
Denn sie kann nicht rückwirkend in Kraft treten.
Insbesondere angeschlagene Sender innerhalb der ARD trifft das verhältnismäßig hart.
Wir in Baden-Württemberg profitieren wie so oft von unseren guten Strukturen.
Den SWR trifft die Nichterhöhung monatlich mit 3 Millionen € bis zu dem Tag,
an dem das Bundesverfassungsgericht die Beitragserhöhung eventuell doch noch erzwingt.
Aber das sind im Monat 3 Millionen €, die der Sender nicht hat und die irgendwo herausgeschwitzt werden müssen –
am Programm, an Mitarbeitern, an Investitionen in die fortschreitende Digitalisierung.
Das alles ganz zu schweigen davon, dass die Mindereinnahmen bei der Landesanstalt für Kommunikation bedeuten,
dass wir auch an dieser Stelle im Kampf gegen Fake News, in dem die LFK eine große Rolle spielt, geschwächt werden.

Wir, die CDU-Fraktion des Landtags von Baden-Württemberg, haben uns stets an die Entscheidung der Kommission
zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten – kurz: KEF – gehalten, und wir werden das auch in Zukunft tun.
Das gilt auch entgegen anderslautenden Medienberichten von gestern über eine Arbeitsgruppe einer Bundesfachausschusssitzung,
die der SPIEGEL veröffentlicht hat, weiter.
Dieses Papier, in dem eine Neuordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steht, hat diesen Bundesfachausschuss nie
wirklich erreicht. Es ist eine Idee, und für Ideen darf man in einer Demokratie auch offen sein, aber diese Idee ist gänzlich gescheitert.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist zwar das teuerste System der Welt, aber in Sachen Finanzen auch das am besten kontrollierte der Welt.

Im 22. Bericht – Achtung, jetzt wird es spannend! – der KEF, 412 Seiten dick, lässt sich auch nachlesen, wie es zu dieser Entscheidung kommt.
86 Cent Erhöhung gehen zurück auf einen angemeldeten Mehrbedarf von insgesamt 3 Milliarden €
für die Beitragsperiode 2021 bis 2024. 1,5 Milliarden €, also die Hälfte dieser Mehrbedarfsanmeldung,
hat die KEF der ARD und dem ZDF bereits zusammengestrichen.
Es blieben also nur noch 1,5 Milliarden € übrig, die eben dann am Ende zu dieser Erhöhung um 86 Cent auf 18,36 € im Monat führen.
Diese Erhöhung ist also genau berechnet. Sie sollte und sie
darf deshalb nicht Gegenstand politischer Ränkespiele sein.

Das heißt aber nicht, dass man nicht immer wieder über den Auftrag und die Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
diskutieren und sogar streiten darf und muss. Nur zu sagen:„So ist es, und so nehmen wir es hin“, das wäre für die Politik, glaube ich, zu wenig;
das ist auch nicht unser Auftrag.
Hierzu liefert die KEF in ihrem 22. Bericht ja auch Vorlagen.
Drei davon möchte ich aufnehmen.

Erstens:

Die Enttäuschung über die Reformvorschläge aus dem System heraus ist insgesamt groß.
In Sachen Strukturen verändert sich so gut wie nichts mehr.
Auch dann, wenn, wie derzeit im Saarland, ganze Intendanzen verwaist sind,
hat die Politik nicht den Mut, auf eigene Sendehäuser eventuell zu verzichten oder Fusionen anzustreben.
Die letzte große Reform war der Zusammenschluss von SDR und SWF zum SWR.
Seither kämpft hier jeder in dieser Bundesrepublik für Standorte, für Arbeitsplätze, für Wertschöpfungen in seinem Land.

Während sich die Welt dreht, On-Demand-Angebote wachsen und das Radio ins Internet wandert,
blähen manche Sender sogar ihre Strukturen auf, anstatt sie zu verschlanken.
Wie viele Rundfunkräte braucht man wirklich, um die Gesellschaft abzudecken?
Wie viele Programmdirektionen machen Sinn?
Muss man sich in der Primetime tatsächlich wirtschaftlich selbstständige Moderatorenunternehmen zu horrenden Preisen einkaufen,
die am Ende mehr politischen Einfluss haben als eine Bundestagsdebatte?

Manche ARD-Anstalten haben das Problem der Pensionslasten noch immer nicht gelöst.
Und dass nicht überlebensfähige Sender trotzdem am Netz bleiben, ist allein der Bereitschaft der anderen Sender wie z. B. des SWR zu verdanken.

Präsidentin Muhterem Aras: Herr Abg. Haser, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Stickelberger zu?
Abg. Raimund Haser CDU: Ja.
(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos])
Abg. Rainer Stickelberger SPD: Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie haben gerade die Standortfrage entwickelt. Da würde mich Ihre Meinung dazu interessieren: Welchen der drei
SWR-Standorte Mainz, Baden-Baden und Stuttgart würden
Sie denn gern aufgeben?
(Vereinzelt Beifall)

Ich habe nicht die Standorte des SWR infrage gestellt, sondern ich habe die Frage gestellt, wie viele Intendanzen die ARD insgesamt noch braucht.
Das war nicht auf den SWR und nicht auf das Land bezogen, sondern das war auf die Intendanzen bezogen.
Wir wissen, dass es zwei Häuser gibt, die seit Beginn zu wenig Beitragsaufkommen haben,
um die Finanzierung der Häuser selbst aus eigener Kraft zu stemmen.
Ich glaube, dass man irgendwann beginnen muss, darüber zu reden.


Zweitens:

Damit komme ich schon zum Punkt; vielen Dank für die Überleitung, Herr Stickelbereger –:
Es ist eben Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass der Rundfunk in die Zeit passt.
Denn der Auftrag ist es letztlich, der zu den Kostensteigerungen führt, gepaart mit den Strukturen, die sich,
wie in Baden-Württemberg auch, aus den Gesetzen ergeben.
Beim Auftrag höre ich z. B. immer wieder, dass Unterhaltung in einem öffentlich finanzierten Programm nichts zu suchen habe
oder dass es zu viel Sport im Programm gebe oder dass sich die Sender auf Nachrichten und Aktuelles konzentrieren sollten.
Lustig wird es immer dann, wenn man fragt, auf welchen Sport man dann verzichten soll,
wo denn die Grenze zwischen Nachrichten und Unterhaltung liegt oder ob es wirklich gut ist,
wenn man den Menschen statt einer Auswahl im Abendprogramm zwischen Castingshow und anspruchsvollem deutschen Film nur noch die Castingshow übrig lässt.

Zu dieser Frage des Auftrags gehört auch die politische Interpretation von Artikel 5 des Grundgesetzes.
Sind es tatsächlich nur die Öffentlich-Rechtlichen, die die Basis unserer pluralistischen Gesellschaft sind, oder sind das eben nicht auch Radios, Zeitungen und andere Medien?
Wenn dem so ist: Ist der Medienbeitrag in seinen Verwendungsmöglichkeiten nicht eventuell irgendwann auch einmal weiter zu fassen, als es heute der Fall ist?
Ein dritter Entwicklungsstrang lässt sich ebenfalls aus dem KEF-Bericht ableiten.
Der rasante Übergang vom linearen zum On-Demand-Fernsehen ist eine große Chance, Kosten auf Dauer zu senken und gleichzeitig die Nutzung und damit
auch die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insbesondere bei der jungen Zielgruppe deutlich zu erhöhen.

Der SWR spielt hierbei mit der Verantwortung für die ARD-Mediathek und dem Auftrag zur Digitalisierung eine zentrale Rolle.
Aber das erfordert große Investitionen.
Diesen Übergang vom klassischen Fernsehen in digitalisierte Angebote sollten wir also schon aus purem baden-württembergischen
Eigennutz heraus an allen drei Standorten – zwei in Baden-Württemberg, einer in Rheinland-Pfalz – nicht schwächen, sondern stärken.
Dazu gehört auch, dass die Finanzierung auskömmlich sein muss.

Aber abgesehen von unserer Debatte hier und der Debatte über das System insgesamt
dürfen wir in der Medienpolitik den Blick über den Tellerrand nicht vergessen.
Ich habe es schon bei der letzten Debatte gesagt und wiederhole es gern:
Wir müssen uns mehr um die Medienbranche insgesamt sorgen,
wenn wir den Boden unserer pluralistischen Gesellschaft nicht verlieren wollen.

Was nützt das beste duale System aus privaten und öffentlichen Medien, wenn andere, unkontrollierbare, mächtige und
nicht in Deutschland beheimatete Konzerne wie Google und Facebook heutzutage mehr Meinung machen als alle
Tageszeitungen, Radios, Fernsehangebote und Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland zusammen?

Medienpolitik muss heraus aus der Fokussierung auf die immer gleiche Frage: 86 Cent mehr oder weniger?
Wir müssen hin zu einer aktiveren gesetzgeberischen, kontrollierenden Rolle.
Noch immer lassen wir es wegen fehlender europäischer, deutscher und internationaler Regeln zu,
dass Algorithmen nicht offengelegt werden, dass journalistische Angebote
zwar gern verteilt werden, aber immer nur einer Geld dafür bekommt.
Wir lassen zu, dass Google bestimmt, was in der Suchmaschine ganz oben steht.
Wir lassen zu, dass Facebook jedem seine eigene Filterblase baut und dass es immer nur einen gibt,
der am Ende daran verdient: ein Unternehmen, dem die US-Regierung mit Zerschlagung droht,
während es in Deutschland so gut wie keine Steuern zahlt und noch nicht einmal als Medienunternehmen eingestuft wird.


So wird das nicht mehr lange gut gehen.
Unsere Medienvielfalt lebt von vielfältigen Angeboten.
Aber wenn unsere Verlage und Privatradios erst einmal zu reinen Satelliten von Facebook & Co. degradiert worden sind, dann ist es zu spät.
Dann rettet uns eben auch ein gutes öffentlich-rechtliches System nicht mehr.
Deswegen wünsche ich mir eine Öffnung der Debatte:

Wo sind die Lücken im System?
Wo fehlt Berichterstattung wirklich?
Wo fallen Strukturen weg, die wir erhalten sollten?

Es geht in der Medienpolitik nicht um den „Tatort“ oder den
Anteil Ostdeutschlands an der Berichterstattung in den „Tagesthemen“.
Es geht um den Erhalt unserer vielfältigen Medien- und Meinungslandschaft,
die uns nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg in die Demokratie geebnet hat.
Es geht um den Erhalt unserer medialen Selbstbestimmung, um die Schaffung eines politischen Konsenses und um das Erbe unserer kulturellen Heimat.


Vielen Dank.

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