Gesetz zu dem Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ihr Sohn ist 13 und schaut sich ein Gewaltverherrlichendes Video an. Ein Mord, eine Hinrichtung - So etwas gibt es. Millionenfach geklickt. Sie kommen ins Zimmer und erwischen ihn dabei. Klar haben Sie mal über Regeln im Netz gesprochen. Und Sie haben es ihm auch verboten, so etwas anzuklicken. Aber wird er sich dran halten? Und - warum geht das überhaupt? Soll ich YouTube abschalten? Das Internet verbieten? Immer daneben sitzen bei allem was er macht?
Ein zweiter Fall: Ihr Tochter, 16, fängt plötzlich an, verstörende Dinge über den Nationalsozialismus und den Holocaust zu sagen - in der Diskussion merken Sie, dass sie von „Informationen“ spricht und „vom Internet“, in dem „sie das gelesen hätte, dass das alles gelogen ist.“ Sie sind entsetzt, argumentieren dagegen, schauen mit ihr die Website an, von der diese Informationen kommen. Und Sie fragen sich: Wie geht das? Wie kann man das zulassen, dass es so etwas ins Schlafzimmer meiner Tochter schafft?
Dritter Fall: In Ihrer Küche steht ein lustiges kleines Gerät, das neuerdings mit Ihnen spricht. Ich nenne es jetzt einfach mal „MAX“, damit niemand beleidigt ist. Und Sie sagen zum Beispiel: „Max, spiel Radio Regenbogen für mich.“ Und MAX sagt: „Entschuldigung, ich habe dich nicht verstanden. Aber schau mal, was ich gefunden habe.“ Und dann läuft ein anderer Sender. Sie denken sich nichts dabei. Das sollten Sie aber. Denn MAX nutzt in diesem Moment unter Umständen seine Marktmacht aus, um zu bestimmen, wem Sie zuhören dürfen und wem nicht. Und das hat überhaupt nichts mit Ihrem Geschmack, aber sehr viel mit viel Geld zu tun.
Alle drei Fälle zeigen, dass Medien und Mediennutzung sich verändert haben. Dass Rundfunkstaatsverträge, wie wir sie kennen, nicht nur wegen des Begriffs Rundfunk nicht mehr vollständig die Realität abbilden. Medienregulierung ist aber Ländersache. Und deshalb bin ich froh darüber, dass der gordische Knoten bei diesem Thema endlich durchschlagen werden konnte. Medienplattformen und Medien-Intermediäre - also Websites, Apps, Videoplattformen, Podcast-Anbieter, Internetradio, Video on demand, ausländische Nachrichtenanbieter und so weiter - haben wirtschaftlich, gesellschaftlich und sogar politisch so sehr an Einfluss gewonnen, dass wir nicht weiterhin den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und unsere von der Landesanstalt für Kommunikation überwachten privaten Anbieter an die Kandare nehmen können, während wir das Internet einfach laufen lassen.
Laut der aktuellen JIM-Studie - JIM steht für Jugend, Information, Medien - nutzen 9 von 10 Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren täglich das Internet, nach eigener Einschätzung verbringen sie dort mehr als 200 Minuten am Tag.
Natürlich müssen wir uns dem Thema Medienkompetenz deshalb mehr widmen - müssen erläutern, was es bedeutet, Dinge über sich preis zu geben, sich buchstäblich nackt im Netz zu präsentieren. Aber wir müssen diese Jugendlichen - und auch die Erwachsenen - vor Lügen, vor nicht umsonst gesetzlich verbotenen Inhalten, vor Schleichwerbung und unlauteren Geschäftsmethoden auch aktiv schützen. Wenn wir das nicht tun würden, wäre das ein falsches Verständnis von Freiheit! Wir legen Trickbetrügern und Holocaust-Leugnern in der realen Welt das Handwerk - warum um Himmels willen sollten wir das nicht auch im Netz tun?
Der Medienstaatsvertrag, über den wir heute abstimmen, ist deshalb eine Kampfansage des Staates an die wütend um sich schießenden Revolverhelden im WWW - dem Weltweiten Wilden Westen — in einer Zeit, in die dieses Bekenntnis zum Rechtsstaat nicht besser passen könnte. Wir ziehen Plattformen und Intermediäre in diese Verantwortung und in diese Regulierung mit ein. Und das gilt nicht nur für Angebote aus Deutschland. Sondern es gilt auch für Angebote, die aus dem Ausland kommen, die aufgrund der Sprache und des Themenbezugs aber eindeutig für deutsche User gedacht sind.
Diese Anbieter werden künftig kontrolliert! Sie müssen zum Beispiel technisch sicherstellen, dass ich als Erziehungsberechtigter bestimmte Inhalte sperren kann, wenn meine Kinder die eine oder andere Plattform nutzen. In meinem geschilderten Fall 1 kann ich als Erziehungsberechtigter künftig also Kategorien freigeben, die ohne meine Erlaubnis angeschaut werden dürfen, andere wiederum kann ich sperren. Die Anbieter müssen zudem sicherstellen, dass der Jugendmedienschutz eingehalten wird. Sie müssen bei journalistischen Inhalten - wie im beschriebenen zweiten Fall - gewisse Standards einhalten. FakeNews können also angezeigt werden - und es ist nicht mehr von Bedeutung, ob der Server im In- oder Ausland steht.
Im dritten von mir eingangs geschilderten Fall wird sichergestellt, dass „MAX“ keine Anbieter diskriminieren darf. Hinzu kommt, dass Geschäftsmodelle überprüft werden müssen, wenn sie auf Schleichwerbung basieren - zum Beispiel, wenn es sich um die ganz zufällig getragene ModeLabel-Baseballmütze eines YouTube-Infuencers handelt.
Natürlich gibt es auch Kritik. Der Eine hätte sich mehr erhofft, der Andere weniger. Und natürlich ist ein solcher erster Wurf nie perfekt. Aber der Medienstaatsvertrag ist eine Kampfansage. Und dieses Signal ist sehr wichtig!
Wir werden diesen Prozess deshalb kritisch beobachten und Verbesserungen fordern, wo dies notwendig erscheint.
Im Sinne einer modernen Medienordnung werden wir diesem Medienstaatsvertrag aber gerne und aus voller Überzeugung zustimmen.