Gesetz zur Änderung des Naturschutzgesetzes und des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetze
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Heute biegen wir in die Schlusskurve eines nerven- und kräftezehrenden Marathons ein.
Wir bringen heute ein ausgewogenes, mit allen wesentlichen Verbänden ausdiskutiertes, in der Bevölkerung erwünschtes und bundesweit Aufsehen erregendes Gesetz ein, das - und das möchte ich ausdrücklich betonen - KEINEN Wendepunkt der Landwirtschafts- und Naturschutzpolitik in Baden-Württemberg darstellt, sondern vielmehr eine konsequente und ausgewogene Weiterentwicklung dessen, was dieses Land von der ersten Stunde an auszeichnet.
Baden-Württemberg ist anders, und ich will selbstbewusst hinzufügen, schöner. Das liegt an der abwechslungsreichen Kulturlandschaft, die uns die jahrtausendealte Bewirtschaftung unserer Vorfahren hinterlassen hat.
Das Zusammenspiel zwischen natürlicher Schönheit und dem, was der Mensch daraus gemacht hat, beschreibt schon ein altes Kirchenlied, in dem es heißt:
„Was uns die Erde Gutes spendet,
was unserer Hände Fleiß vollbracht,
was wir begonnen und vollendet,
sei Gott und Herr zu dir gebracht.“
Große, zusammenhängende Wälder, weite, abwechslungsreiche Wiesenlandschaften, flache, ertragreiche Äcker, Flüsse, Seen, Moore, märchenhafte Streuobstwiesen und landschaftsprägende Obst- und Weinbauregionen - dazwischen schmucke Städtchen, historisch gewachsene Siedlungen und selbst in Metropolregionen wie dem Großraum Stuttgart einen erfrischenden Wechsel zwischen gepflegten Garten- und Parkanlagen und, nicht weit von der letzten S-Bahn-Station entfernt, purer Wildnis.
Die Bewahrung der Schöpfung, der Erhalt unserer Jahrtausende alten Kulturlandschaft und die Schaffung von wirtschaftlich sinnvollen Rahmenbedingungen für die Landbewirtschafter im Wald, auf unseren Wiesen und auf unseren Äckern gehört seit jeher zur DNA aller baden-württembergischen Landesregierungen.
Umso mehr ist es nur konsequent, dem Artenschwund und der bedrohten Biodiversität auf der EINEN Seite UND den schwierigen Marktbedingungen unserer Bäuerinnen und Bauern auf der ANDEREN Seite durch dieses Gesetz gleichermaßen Rechnung zu tragen.
Nicht zu jedem Zeitpunkt dieses ungewöhnlichen Verfahrens war diese Verantwortungsgemeinschaft zwischen Bewirtschaftern und Naturschützern allen Akteuren bewusst.
Namentlich möchte ich hier all jene Verbände, Abgeordnete und Parteien nennen, die zu Beginn des Volksbegehrens „Rettet die Biene“ mit wehenden Fahnen für jenes Ursprungsmodell des Volksbegehrens eintraten, das in letzter Konsequenz tatsächlich einen Paradigmenwechsel bedeutet hätte: Nicht zum Wohle der Landschaft, sondern zu einem ideologischen, bewirtschaftungsfeindlichen Konstrukt, das, fernab jeglicher Realität, schwerwiegende Folgen für Bäuerinnen und Bauern und damit auch für den Erhalt unserer Kulturlandschaft gehabt hätte.
(Selbst nach dem Rückzug zum Beispiel der Hopfenbauern aus Tettnang oder der von Beginn an konsequenten Weigerung des Landesnaturschutzverbandes haben andere es vorgezogen, auf den Zug aufzuspringen - wohlgemerkt: Einen Zug, der nicht mehr aufzuhalten gewesen wäre.)
Nur durch die Weitsicht der Landesregierung, insbesondere der Ministerien Landwirtschaft und Umwelt, und aufgrund der Kooperationsbereitschaft der Verbände sowie einer beispiellosen Informationsarbeit vieler Abgeordneter hier im Saal ist aus dem unzulänglichen Entwurf, der da auf dem Tisch lag, ein Fortschritt für Flora und Fauna und für die Landwirtschaft in diesem Land geworden.
Wie jede Fortentwicklung besteht auch die Weiterentwicklung der bestehenden Gesetze aus kleinen Mosaiksteinen, die wir nun im weiteren Prozess mit Leben erfüllen müssen.
Ein Mosaikstein ist zum Beispiel das Bekenntnis zu einer den Bedürfnissen der Landwirtschaft angepassten Pflanzenschutzmittelreduktion. Forschung und Musterbetriebe werden mit viel Geld ausgestattet, um die Landwirtschaft auf der Such nach alternativen Schädlingsbekämpfungsmethoden zu unterstützen und mit neuester Technik (z.B. der kostenlose Satellitenpositionierungsdienst SAPOS) bewährte Verfahren zu verfeinern.
Ein weiterer Mosaikstein sind auf der anderen Seite die Maßnahmen, die die Verantwortung urbaner Zentren, des Verkehrs und des Flächenverbrauchs, die Bewirtschaftung von Privatgärten und von öffentlichen Flächen beim Verschwinden von Biodiversität betonen.
Insektenfreundliche Beleuchtung, Rücksichtnahme auf die Belange von Insekten und Fledermäusen, das Giftspritz-Verbot in Privatgärten und das Pochen auf naturnahe Privatgärten - all das zeigt, dass es eben nicht immer nur die Landwirtschaft ist, die Biodiversität gefährdet. Es ist der Mensch, der nach Aufgeräumtheit strebt, der Vielfalt unterbindet.
Ein letzter Mosaikstein, den ich nennen möchte, ist die Offenlegung der Ausgleichsflächen, die der besseren Kontrolle und Sichtbarkeit der Maßnahmen dient. Das Prinzip der Ökopunkteverordnung, die Eingriffe in die Natur mit sinnvollen Ausgleichsmaßnahmen vergelten soll, ist der Schlüssel zu mehr Vielfalt, bei gleichzeitigem Beibehalt notwendiger Entwicklungsmöglichkeiten für Wohnen, Verkehr und Gewerbe.
Letztlich ist Natur nur dort zuhause, wo man sie Natur sein lässt - Biodiversität ist vereinfacht gesagt das Ergebnis der einfachen Rechnung: Fläche mal Zeit.
Nur auf Rückzugsflächen kann Vielfalt wachsen.
Deshalb sind die Regelungen zur Biotopvernetzung und zu den äußerst wertvollen Refugialflächen innerhalb bewirtschafteter Gebiete besonders wichtig. Was heute auf vielenHöfen, Obstplantagen und in Weingärten bereits Realität ist - Wiesenflächen, die stehen gelassen werden, Blühflächen neben Ertragsäckern, Totholzkonzept-Flächen und mit Ökopunkten belegte Habitate, unsere Naturschutzgebiete, Seen, Weiher und künstlich angelegten Biotope - sie sind es, in denen sich „Unkraut“ und „Ungeziefer“ wohlfühlen. Und das ist genau das, was wir wieder mehr brauchen!
Machen wir uns also auf den Weg zu mehr Vielfalt - gemeinsam, verständnisvoll und, ganz wichtig: in einem guten Dialog mit Obst-, Milch- und Gemüsebauern, Winzern, Waldbesitzern, Naturschützern, Hobbygärtnern, Straßenbauämtern und - vor allem - mit einer Gesellschaft, ohne die der nun gefundene Kompromiss nicht funktionieren kann.