Plenarrede zur aktuellen Energiekrise

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Herr Rülke, mit dem Titel der Aktuellen Debatte haben Sie natürlich recht. Die Energiedebatte gehört hier in den Landtag. Dafür gibt es ja auch diverse Möglichkeiten. Man kann z. B. kluge Anträge stellen, wie Herr Gruber in der letzten Ausschusssitzung, in der wir uns dann über das Thema Gas unterhalten haben. Oder man kann im Ausschuss Öffentlichkeit herstellen, wie das auf Antrag der FDP/DVP letzten Donnerstag geschehen ist. Oder man hätte letzten Mittwoch seitens der AfD statt über Medienpolitik auch über die Gasmangellage reden können. Aber es muss jeder für sich selbst entscheiden, für welche Agenda er sich entscheidet.

Ich bin auf jeden Fall dankbar – insbesondere auch dem Ministerpräsidenten und dem Kabinett –, dass man das Thema „Gas und Energie“ insgesamt ganz nach oben auf die Tagesliste stellt. Denn für ein stark exportierendes und produzierendes Land wie Baden-Württemberg ist Energiepolitik mindestens so wichtig wie Wasser und Lebensmittel, weil bei uns sonst die Lichter ausgehen und daneben noch ziemlich viel mehr.

Deswegen möchte ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, für diese Initiative danken und hoffe, dass es nicht bei einem Gipfel bleibt, sondern dass daraus auch ein Dialog wird.

Weil das von Ihnen, Herr Rülke, und auch allgemein in der Bevölkerung immer wieder auch ins Lächerliche gezogen wird, welche Sparvorschläge jetzt kommen: Ja, der einzelne Sparvorschlag mag vielleicht manchmal für sich albern klingen. Aber solange von den 270 000 TJ Gasverbrauch in Baden-Württemberg 90 000 TJ in den Haushalten verursacht werden, sind die Haushalte tatsächlich eine relevante Größe. Wenn ich dann noch die 70 000 TJ, die in den sonstigen Gebäuden – Dienstgebäude usw. – verbraucht werden, mit dazunehme, dann ist es eben schon wichtig, dass ich mir überlege, welchen Raum ich heizen muss, ob meine Heizung gut eingestellt ist und wie viel Wasserverbrauch ich habe. Deswegen bitte ich Sie einfach alle, diese Sparvorschläge auch zu unterstützen und nicht ständig ins Lächerliche zu ziehen.

Aber beim Thema Gas – das sehen wir im Moment sehr schmerzlich – gilt auch das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Das, was wir im Moment sehen, ist faktisch keine Mangellage. Das müssen wir mal klar sehen. Wenn ich den Hahn aufdrehe, kommt warmes Wasser heraus. Wenn ich bei einer Außentemperatur von 32 Grad die Heizung aufdrehen würde, würde Wärme herauskommen.

Das heißt, die Preise ergeben sich nicht aus dem Jetzt, sondern aus der Erwartung. Wenn die Politik den ganzen Tag nichts anderes macht, als den Menschen zu erzählen, dass im Herbst oder Winter vielleicht die Heizung ausgeht, dann wird sich an dieser preislichen Situation auch nichts ändern – egal, wie sich die Angebotsseite entwickelt.

Deswegen müssen wir, die Politik, glaube ich, auch mal aus dieser Panik heraus und feststellen: Die Speicher sind besser gefüllt als in den letzten Jahren, und wir wären heute auch schon dazu in der Lage, zumindest eine garantierte Mindestmenge zu definieren, bei der wir sagen: Diese Menge Gas wird immer kommen, egal, was Russland tut oder nicht. Diese Mindestmenge würde gerade ganz großen Verbrauchern – Badische Stahlwerke, Papierindustrie, Glasindustrie, Bergbau – unglaublich helfen, weil sie in der Produktion dann wenigstens einen Sockel sicherstellen können. Diese Sicherstellung ist tatsächlich eine Aufgabe des Staates, der Bundesnetzagentur, und dieser Aufgabe verwehrt sie sich im Moment.

Natürlich muss man bei der Debatte auch über das Thema Kernkraft reden. Ich möchte es aber einfach nur „Kraftwerke“ nennen. Es macht keinen Sinn, in einer drohenden Mangellage auf Kapazitäten zu verzichten. Können wir uns vielleicht darauf einigen?

Auf Kapazitäten kann man verzichten, wenn ein ausreichendes Angebot zur Verfügung steht. Deswegen sage ich von hier noch einmal: Wenn der Stresstest, der nun von der Bundesregierung angekündigt ist, zu einem Erkenntnisgewinn führt, der letztlich dazu führt, dass wir das, was wir ohnehin tun müssen, machen, dann freue ich mich. Ich würde mir aber wünschen, dass der Zeitrahmen dafür genauso kurz ist wie bei der Prüfung des Weiterbetriebs der Kernkraftwerke. Das waren meines Wissens ungefähr 24 Stunden.

Dann könnten wir nämlich den August schon nutzen, um mit heruntergefahrenen Kernkraftbetrieben den Streckbetrieb vorzubereiten. Denn im August brauchen wir wenig Strom, und wir haben ziemlich viel Fotovoltaik. Deswegen ist dann die Vorbereitung auf den Streckbetrieb sinnvoller als im Oktober, November oder Dezember.

Wir müssen auch aufhören, bestimmte Energieerzeugungsarten in diesem Land bestimmten Parteien oder ideologischen Richtungen zuzuschreiben.

Das ist in keinem einzigen anderen Land auf der Welt so. Wir müssen uns natürlich auch Technologien öffnen, die insgesamt auf der Welt gerade erprobt werden, nur nicht in Deutschland, weil wir das nicht wollen. Wir müssen auch Teil dieser Zukunft sein. Das gehört zur Wahrheit dieser Krise mit dazu.

Aus der letzten Entscheidung infolge der Reaktorkatastrophe in Fukushima wollten wir eigentlich lernen, dass in einer Krise ein ständiges Hü und Hott sowie ein ständiges Infragestellen eines Kurses nie besonders vertrauenerweckend gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft ist. Investitionen brauchen Vertrauen, und Vertrauen braucht Verlässlichkeit. Wenn die Industrie weiß, dass, egal, was passiert, der Kurs hinterher auf jeden Fall geändert wird, dann ist das ein falsches Beispiel.

Wir sollten trotzdem daran festhalten, dass wir z. B. gesagt haben: Wir setzen weiterhin auf Gas; wir setzen weiterhin auf wasserstofffähige Gaskraftwerke als Ausgleich für volatile erneuerbare Energien, weil es anders gar nicht geht und weil jede Krise auch vorübergeht. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung im Moment versucht, nicht nur in Europa insgesamt die Gaslieferungen zu erhöhen, sondern z. B. auch mit den LNG-Terminals im Norden – Stade usw. – in diesem Winter und vor allem auch in den nächsten Jahren zur Versorgung beizutragen. Davon profitiert ja auch die EnBW bei uns.

Der zweite Punkt ist, dass wir darauf schauen müssen – Herr Ministerpräsident, das ist wirklich eine Hausaufgabe für uns alle –, dass uns der Norden mit den Wasserstoffleitungen versorgt. Nach der letzten Übersicht gibt es im Jahr 2030 keine einzige Wasserstoff-Backbone-Leitung nach Baden-Württemberg. Das ist für ein Industrieland im Südwesten, dessen Bürger auch ihre Steuern zahlen und das dazu noch viel anderes Geld in andere Bundesländer schickt, ein untragbarer Zustand. Da müssen wir gemeinsam Druck machen, dass sich das ändert.

Selbstverständlich brauchen wir einen Ausbau der erneuerbaren Energien. Herr Dr. Rülke, Sie sagen: „Na ja, auch wenn wir 1 000 oder 2 000 Windräder haben, reicht das doch gar nicht.“ Das ist kein Grund, um diese 1 000 oder 2 000 Windräder nicht zu bauen. Es ist auch kein Grund, keine Fotovoltaik zu bauen, nur weil die Fotovoltaik volatil ist und weil sie uns nie zu 100 % versorgen kann.

Diese Technologien sind richtig. Diese Technologien schicken uns keine Rechnung. Sie werden irgendwann dazu führen, dass wir zumindest einen Teil der Stromproduktion in Baden-Württemberg zu einem Preis von null anbieten können. Diese Möglichkeit sollten wir dort, wo es geht, nutzen, und wir sollten auch an diesem Kurs festhalten.

Zu guter Letzt müssen wir uns auch den neuen Technologien öffnen. Wenn Sie heute in die Unternehmen gehen, stellen Sie fest: Es passiert so unglaublich viel. Wir haben so einen großen Vorsprung bei der Brennstoffzelle, bei der Elektrolyse, bei allem, nicht nur bei dem, was wir bei den Fahrzeugen machen, sondern auch bei dem, was etwa bei Bosch und anderen gemacht wird, was wir auch für die stationären Anlagen brauchen, z. B. als Ersatz für die mit Gas betriebenen Heizöfen in den Unternehmen. Das wird auch weitergehen. Wir haben unheimlich viel Dynamik in Sachen wie Wärmetauscher. Es gibt theoretisch die Möglichkeit, den Bodensee, den Rhein oder was auch immer über Wärmetauscher zu nutzen. Es gibt die Möglichkeit, Geothermie zu machen. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit, die Gewinnung von Biogas aus Reststoffen so weiterzuentwickeln, dass wir damit nicht nur Strom und Wärme produzieren, sondern dass wir sogar LNG herstellen. Das Problem ist nur, dass wir uns manchmal selbst auf den Füßen stehen und es in Deutschland im Moment wenig Spaß macht, in diese Technologien zu investieren, weil wir zum Teil keine Ermöglichungskultur in unseren Ämtern haben. Es ist unsere Aufgabe, das zu ändern, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Wenn es an den Gesetzen liegt, dann müssen wir die Gesetze ändern. Wenn es an der Europäischen Union liegt, dann müssen wir mit der Europäischen Union reden. Aber was nicht geht, ist, dass zehn Leute in einem Raum sitzen und sagen: „Wir müssten das eigentlich alle tun, aber es ist brutal schwierig und lässt sich nicht lösen.“ Das ist keine Antwort für ein Industrieland.

Deswegen ist diese Krise wie jede andere auch. Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren. Wir müssen unseren Bestand sichern. Wir müssen soziale Härten ausgleichen. Das ist extrem wichtig, gerade nach dieser langen Zeit der Entbehrungen, auch in der Coronapandemie; das dürfen wir nicht vergessen. Wir müssen bei unseren Zukunftsinvestitionen darauf achten, dass wir keine falschen Abhängigkeiten schaffen.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch diese Krise meistern und dass wir daraus lernen. Seit ich auf der Welt bin, hatten wir 1987 einen Börsencrash, in den Neunzigerjahren eine Autokrise – wir haben gedacht, wir verlören alles in Richtung Osten. 2000 ist der Neue Markt zusammengebrochen. 2008 hatten wir die Finanzkrise. 2019 kam Corona. Und Sie werden es nicht glauben: Jedes Mal ist die Welt nicht untergegangen. Sie wird es auch dieses Mal nicht tun.

Deswegen: Nutzen Sie die Sommerpause! Gehen Sie heim und pflanzen Sie – frei nach Luther – ein Apfelbäumchen. Das lohnt sich.

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