Plenarrede zur Zukunft der Energieversorgung

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Wirtschaft ist auch in dieser Aktuellen Debatte angesprochen. Die Wirtschaft in Baden-Württemberg hat im Grunde genommen ein sehr einfaches System. Wir kaufen auf der ganzen Welt Rohprodukte und Rohstoffe; dann importieren wir sie; dann bringen wir sie mit ziemlich viel Grips und mit ziemlich viel Energie zu etwas Neuem zusammen; anschließend verkaufen wir es in der ganzen Welt.

Dieses einfache Dreisäulenmodell – wenn man so will – hat gerade an mehreren Stellen ein Problem. Das eine ist, dass unsere Lieferketten nicht funktionieren. Wer sich erst jetzt eine Fotovoltaikanlage installiert, bekommt zwar noch Panels aufs Dach, aber der Handwerker sagt dann: „Den Rest der Anlage bekommen Sie leider irgendwann. Ich weiß nicht wann, und ich weiß auch nicht, zu welchem Preis.“

An zweiter Stelle steht das Thema Demografie. Wir haben ja keinen Fachkräftemangel, sondern wir haben schlicht und einfach einen Menschenmangel, weil die Menschen nicht da sind, die die Arbeit, die wir haben, verrichten sollen.

Wir haben auch ein Qualifikationsproblem. Aber das ist wahrscheinlich der Gegenstand einer anderen Debatte.

Die dritte Säule hat uns bisher eigentlich nie Probleme bereitet, zumindest nicht in den letzten 20 Jahren; das ist das Thema Energie. Ich glaube, viele haben erst in diesen ganzen Debatten allmählich verstanden, wie viel Energie wir eigentlich brauchen und dass die Relation, wie viele Haushalte durch eine Fotovoltaikanlage versorgt werden können, eigentlich eine völlig irrelevante Größe ist, weil schon der nächste Handwerkerbetrieb genauso viel Strom braucht.

Wir sollten schon darauf achten – da möchte ich sowohl Herrn Dr. Rülke als auch Herrn Nüssle ansprechen –, dass wir versuchen, uns in dieser Debatte auch vor Augen zu führen, dass da draußen Menschen stehen, die gerade eine Gasrechnung bekommen haben, die von 140 € auf 700 € im Monat angestiegen ist, dass es bei uns Handwerker gibt, die nicht deshalb 20 % Energie einsparen, weil sie jetzt plötzlich ihre Abläufe optimiert hätten, sondern weil sie einfach aufgehört haben, zu produzieren, weil es nicht mehr sinnvoll ist, weil diese Produkte zu diesen Preisen niemand abnimmt.

Deswegen befinden wir uns nicht in irgendeiner Krise, sondern wir befinden uns in einer lang anhaltenden Dauerkrise, in der wir uns fragen müssen, wie wir darauf reagieren, dass die Energiepreise nie wieder so werden wie in der Vergangenheit. Das heißt, die Grundlage für sehr viele Produkte und sehr viele Unternehmen – in diesen arbeiten Bürgerinnen und Bürger, die alle Parteien in diesem Landtag wählen – hat keine Zukunft mehr. Schauen Sie sich an, was zurzeit in unseren Wirtschaftszeitungen steht, was das Thema Rezession anbelangt, was das Thema Deindustrialisierung anbelangt. Da wünsche ich mir an der einen oder anderen Stelle von allen Beteiligten mehr Ernsthaftigkeit in dieser Debatte.

Vor dem Hintergrund des Themas Energie bin ich erstaunt, welche Karriere das Thema Kernkraft in diesem Jahr genommen hat. Die CDU-Fraktion im Landtag war die erste Fraktion, die im März einmal darauf hingewiesen hat, dass die Antwort auf das Abschalten von Neckarwestheim nichts anderes als das Verbrennen von Kohle sein wird. Das hat gestern auch Frau Thunberg gesagt. Das ist auch keine politische Meinung; das ist ein Fakt.

Jetzt besteht das Problem darin, dass wir noch nicht einmal die Kohlenutzung abschalten können; denn das hat nicht nur etwas mit dem Rheinwasser zu tun, sondern es liegt auch an der Unflexibilität der Genehmigungsverfahren, dass ganz, ganz viele „Fuel Switch“-Situationen gar nicht funktioniert haben und nicht funktionieren, weil irgendwo einer sitzt, der nicht verstanden hat, um was es gerade geht.

Deswegen ist es auch keine Frage.

Über den ganzen Sommer hinweg haben wir uns dann anhören müssen – ich auch –, dass Gas das Problem ist und nicht Strom: „Wir haben ein Gasproblem und kein Stromproblem.“ Erst seit Juli weiß plötzlich jeder, was die Merit-Order ist. Die haben wir nicht im Juli erfunden; die gab es schon immer. Seit Juli weiß jeder, dass es eine Synapse zwischen Strom und Gas gibt, und plötzlich fängt man an, einen Stresstest zu machen, für den man extrem lange braucht, um darauf zu kommen, dass man einen Streckbetrieb für eine Anlage anordnet, die man in der Reserve – tut mir leid – überhaupt gar nicht betreiben kann. Denn das Ding ist entweder an, oder es ist aus. Deswegen ist auch die Antwort, die im Dezember kommen wird, nicht: „Na ja, jetzt schauen wir mal, wie wir den 1. Januar gestalten.“ Selbstverständlich läuft dieses Kraftwerk vielmehr einfach weiter, weil wir dieses Jahr schon bei Redispatch-Kosten, also Ausgleichskosten, im Süden in Höhe von 13 Milliarden € sind, und wir sind erst im Oktober. 13 Milliarden € für das Netzungleichgewicht, und zwar deswegen, weil wir im Moment nur die Gaskraftwerke und die Kohlekraftwerke zur Verfügung haben.

Wenn wir so weitermachen, ruinieren wir uns in dieser Energiefrage an mehreren Stellen, und deswegen können wir noch lange politisch darüber diskutieren – erst recht in einem Parlament, das darüber gar nicht zu entscheiden hat –, aber Neckarwestheim wird am Netz bleiben. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

Aber jetzt darf man einen Fehler nicht machen – Herr Nüssle, da haben Sie völlig recht –: Warum sind wir denn eigentlich aus der Kernkraft ausgestiegen, und warum haben wir damit ein Problem? Schauen wir z. B. einmal an den Oberrheingraben. Eine Million Jahre muss das Ding dann als Endlager halten. Eine Million Jahre!

Das zweite Thema ist natürlich, dass wir 439 Meiler auf der ganzen Welt haben, von denen ich nicht weiß – – Oder ich weiß ganz genau, wie die Debatte in Deutschland läuft, wenn nur eine einzige von diesen 439 Atomkraftanlagen auf der ganzen Welt – über 90 davon in den USA, 54 in China, 17 derzeit im Bau – ein Problem hat. Wenn nur eine einzige davon ein Problem hat, dann weiß ich doch, wie die deutsche Öffentlichkeit darauf reagieren wird.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe den Streit in Wackersdorf in meiner Familie gehabt. Mein Cousin und mein Schwager standen sich gegenüber; der eine hat demonstriert, und der andere war beim BGS. Diese Situation will in Deutschland niemand mehr haben.

Deswegen sage ich: Lassen Sie uns bitte über die Energie der Zukunft reden und sie nicht in diesen Krisenmodus führen! Die Idee der Energie der Zukunft ist, dass wir von dem leben, was uns die Erde Gutes spendet. Das ist das, was von oben kommt, das ist die Sonnenenergie, das ist der Wind, und das ist das, was der Boden gibt. Wenn die Menschheit es technisch nicht schafft, zehn Milliarden Menschen mit Lebensmitteln, mit Energie und auch mit Mobilität zu versorgen, ohne ständig irgendetwas kaputt zu machen, dann ist das System Mensch endlich, und das ist etwas, was ich nicht möchte.

Ich glaube, dass gerade Baden-Württemberg es schaffen kann. Wer, wenn nicht wir in Baden-Württemberg, kann es schaffen, mit der Technologie den Grundstein dafür zu legen? So wie einst ein amerikanischer Präsident einmal gesagt hat: „Lasst uns doch mal zum Mond fliegen“ und jeder ihn für verrückt erklärt hat, doch ein paar Jahre später war es Realität. Wir müssen auch einmal daran glauben, dass die Gesetze, die wir machen, dass die Regeln, die wir setzen – sowohl in der Europäischen Union als auch bei uns im Land –, auch fruchten, dass auch so etwas wie eine Fotovoltaikpflicht funktioniert, dass auch so etwas wie z. B. eine Taxonomie auf europäischer Ebene funktioniert, dass der Ausbau der Windkraft auf 2 % der Landesfläche funktioniert und einen Effekt hat.

Zum Thema Windkraft, weil ja die Summe schon genannt wurde: Herr Rülke, für 200 Milliarden € kann man 80 000 Windräder à 2,5 Millionen € kaufen. Wenn man für ein Windrad 20 ha rechnet, sind das 4,4 % der Fläche der Bundesrepublik. Das heißt, man kann mit diesem Geld auch etwas anderes tun, als es sozusagen als Placebo unters Volk zu werfen.

Aber ich möchte noch auf einen Punkt eingehen: Ich habe im Moment leider nicht das Gefühl, dass wir beim Thema „Energie der Zukunft“ so unterwegs sind, wie wir unterwegs sein sollten. Gestern waren die Ausschreibungen für den September und den Oktober fertig. Mit keinem einzigen Ausschreibungsmodell haben wir überhaupt die ausgeschriebene Menge erreicht. Beim Wind sind es noch nicht einmal drei Viertel, und beim Biomethan, das man groß angekündigt hat, hat man ungefähr 150 MW ausgeschrieben, und für gerade mal drei Anlagen hat sich einer beworben. Das sind zwei Anlagen; beide kommen aus Baden-Württemberg. Das macht mich natürlich extrem glücklich, hilft aber am Ende des Tages bei der Lösung des Problems nicht.

Also, wir müssen dafür sorgen, dass wir dieses Thema kurzfristig lösen, und da wollen die Menschen mehr Antworten haben als Debatten, die am Ende des Tages immer nur ein Stück weit sozusagen auf Placeboeffekte hinauslaufen. Sie wollen Antworten auf die Fragen haben: Wie geht ihr diese Krise an, und wie sichert ihr meinen Arbeitsplatz? Wovon soll ich meine Gasrechnung bezahlen, und wie kommen wir über den Winter 2023/2024, wenn es uns nicht gelingt, unsere Gasspeicher zu füllen? Das sind die Fragen, die die Menschen stellen; auf die braucht die Politik eine Antwort. Die Antworten auf diese Fragen sind jedoch nicht die Antworten der Zukunft.

Vielen Dank.

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