Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin das fünfte von fünf Kindern, und am ersten Weihnachtsfeiertag versammeln sich normalerweise 28 Personen im Haus meiner Eltern. All diese 28 Personen sind entweder direkt miteinander verwandt oder verschwägert oder anderweitig miteinander liiert. Wer in einer Großfamilie aufgewachsen ist, weiß, wie es sich anfühlt, wenn man sich gerade nach einem solchen Jahr an Weihnachten nicht in den Armen liegen kann.

Noch schlimmer ist aber, wenn man Menschen überhaupt nicht mehr umarmen kann, weil sie gar nicht mehr da sind. Es mag vielleicht witzig sein, wenn man in Fernsehspots junge Menschen zeigt, die auf Sofas herumlungern und als „Helden“ bezeichnet werden. Aber die wahren Helden sind eben nicht die auf den Sofas, sondern jene, die anderen im Überlebenskampf helfen.

0,4% Todesrate mag sich nach wenig anhören, aber es sind 400 bis 500 Opfer der Pandemie pro Tag allein in Deutschland. Das zeigt, wie viel Leid diese Pandemie auch über unser Land gebracht hat. Allein in Baden-Württemberg kämpfen nach aktuellen Zahlen 330 beatmete Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen gegen Covid-19 um ihr Leben. Wir sind heute in Gedanken bei ihnen und ihren Angehörigen, bei ihren Pflegern und ihren Ärzten.

Deshalb, auch wenn sich vieles in mir sträubt, auch wenn diese Sehnsucht nach Nähe in mir immer wieder ausbricht und wenn ich mich sehr nach einem Familienfest an Weihnachten und an Silvester sehne, stehe ich doch – und das gilt genauso für meine Fraktion und für die allermeisten Menschen – hinter dem, was die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin besprochen haben und was nun in die neue Corona-Hauptverordnung gegossen wurde.

Ob ich und jeder von uns nun zu 100, zu 90 oder zu 80% persönlich hinter all den Maßnahmen im Einzelnen stehen: Wen interessiert das angesichts der Dimension, um die es geht? Ja, ich hadere – wie viele andere auch – mit der Regelung an Silvester,  und vielleicht müssen wir darüber auch noch einmal reden.  Ich hadere als Wintersportler und als direkter Nachbar zu meinen österreichischen und Schweizer Freunden auch mit der rigiden Haltung gegenüber diesem wunderbaren Freiluftsport, der für unsere Nachbarländer eben mehr ist als nur Unterhaltung.

Ja, ein bestimmtes Maß an Unterhaltung und Kultur sowie an gemeinsamer Besinnlichkeit ist auch ohne große Begegnung und Ansteckungsgefahr meines Erachtens noch möglich. Ja, die Regelungen müssen immer auch nachvollziehbar sein, wenn sie Akzeptanz erfahren wollen. Deswegen hätte ich mir anstatt des Kompromisses, den wir nun bezüglich der zwei Ferientage vor Weihnachten geschlossen haben, unsere Lösung gewünscht, nämlich es der Schule vor Ort zu überlassen, sie in die Verantwortung zu nehmen und zu fragen, ob eine Lösung vielleicht auch über bewegliche Ferientage möglich ist. Das hätte ich besser gefunden als das, was wir jetzt getan haben.

Aber: Wenn wir eine Pandemie besiegen möchten, geht es nicht um das kleine Karo und nicht um die Einzelfrage, es geht nicht um unsere eigene Befindlichkeit. Wenn wir nach links und rechts schauen und sehen, wie Corona täglich in anderen Staaten wütet und nicht nur enttäuschte Tennisspieler und Skifahrer zurücklässt, sondern Witwen und Witwer, dann, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bleibt nur die Feststellung übrig, dass wir alle gemeinsam bis zum heutigen Tag durch die mutigen Entscheidungen, die die Politik getroffen hat, viele Menschenleben gerettet haben und die Wirtschaft in unserem Land trotzdem nicht in Grund und Boden versunken ist.

Was wir deswegen stattdessen tun sollten, ist, nach vorn zu schauen und den Menschen die Zuversicht zurückzugeben, auf die sie so sehnsüchtig warten. Ein Freund hat erst am Wochenende zu mir gesagt: Vor vier Wochen war Donald Trump noch Präsident, und wir hatten keinen Impfstoff. Stand heute wird Trump wieder Hotelier, Joe Biden der nächste Präsident, und der Impfstoff ist in wenigen Tagen verfügbar.

Mich treibt die Zuversicht, dass wir als Familie im Frühjahr den Geburtstag meiner Mutter feiern können, die dann 85 wird. Mich treibt die Zuversicht, dass wir uns mit Beginn der nächsten Legislaturperiode wieder über Zukunftsthemen unterhalten können. In der Zwischenzeit müssen wir uns gedulden, unterstützt und getragen von einer Solidargemeinschaft, die in dieser Welt beinahe einzigartig ist. Was Weihnachten angeht: Wer weiß, vielleicht kommen wir alle am Ende sogar noch zu der Erkenntnis, dass dieses heilige Fest ursprünglich mal so gemeint war. Denn schließlich wurde der Menschensohn in einem Stall geboren, und wenn man Ochs und Esel und Hirten abzieht, dann war die heilige Familie nur zu dritt.

Vielen Dank.

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